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Rainer Stadler (NZZ) erklärt den Bürgerjournalismus

Wenn Journalisten den Bürgerjournalismus erklären, kommt eigentlich immer ein bisschen dasselbe dabei raus: Es ist erst dann gut, wenn die Journalisten die Finger drin haben. So auch im NZZ-Artikel Kein publizistisches Reich der Freiheit – Falsche Verheissungen des Bürgerjournalismus:

Es bleibt jedenfalls höchst unwahrscheinlich, dass durch solche Plattformen eine völlig neue Art von Journalismus entsteht, wie die «Readers Edition» vollmundig über sich schreibt. Zwar liebäugeln diverse Medienhäuser mit diesem publizistischen Genre, doch sind sie gerade nicht von der Idee des herrschaftsfreien Mediendiskurses geleitet. Vielmehr geht es um den Versuch, die zunehmend untreuer werdende Kundschaft durch interaktive Formen wieder besser an sich zu binden und die Kommunikationsbedürfnisse des Publikums in den hauseigenen Kanälen zu bewirtschaften.

Exactly. Die etablierte Medienindustrie definiert den Begriff Bürgerjournalismus einfach um: Es ist nichts weiter als die gute alte Tipp-Hotline, mit dem Unterschied, dass der Tipp-Geber den Artikel samt Bildern oder gar Filmen gleich selber liefert. Damit spart der Verlag die Kosten für Mittelsmänner wie Nachrichtenagenturen und festangestellte Journalisten.

Stadler findet das legitim:

Solche Strategien der Medienhäuser sind allerdings absolut legitim, richtig und notwendig. Denn moderne Gesellschaften können sich nicht verständigen ohne Akteure, welche die Kommunikation hierarchisieren und nach professionellen Gesichtspunkten gestalten. Wenn alle gleichzeitig reden, hört niemand mehr etwas.

Allerdings wohl weniger, weil moderne Gesellschaften auf die Medienhäuser angewiesen sind, um ihnen die Welt zu erklären; sondern gerade umgekehrt deshalb, weil die Medienhäuser durch diese Vereinnahmung der ihnen beinahe entschlüpften Leser ihre Existenz und damit ein paar Journalisten-Jobs sichern. Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing?

Aber selbstverständlich ist auch der Original Bürgerjournalismus etwas gutes – solange er weit weit weg von hier stattfindet, darf er existieren und sogar wichtig sein, aber hier bei uns selbstverständlich nicht:

Bürgerjournalismus mag in Ländern eine grössere Rolle erhalten, wo das professionelle Mediensystem relevante Inhalte der Ã??”ffentlichkeit vorenthält. In offenen Medienlandschaften wird jedoch der Bürgerjournalismus ein Nischenphänomen bleiben. Dieses wiederum ist ein Symptom der Freizeitgesellschaft, deren Mitglieder sich mit der schwierigen Frage konfrontiert sehen: Was mache ich mit meiner vielen freien Zeit?

Ah! In anderen Ländern darf der Bürgerjournalismus also durchaus stattfinden. Aber hier bei uns wird er auf seinen Platz verwiesen: Er darf, wenn es nach den Journalisten geht, nichts weiter sein als ein Zeitvertreib für freizeitspassgesellschaftsgelangweilte Konsumenten – es sei denn, die Medienindustrie kontrolliert ihn.

Passend dazu noch ein Link auf den Wikipedia-Artikel über Citizen Journalism.

via Side Effects

4 Comments

  1. dorftrottel wrote:

    “Denn moderne Gesellschaften können sich nicht verständigen ohne Akteure, welche die Kommunikation hierarchisieren und nach professionellen Gesichtspunkten gestalten.”

    Dorftrottel scheisst auf Hier Arschieren.. Und desweiteren auf Professionalität. An Arsch I ! Und zwar subito..

    Friday, June 16, 2006 at 21:29 | Permalink
  2. Gris-Gris wrote:

    “Was mache ich mit meiner vielen freien Zeit?”, schreibt ras von der NZZ..,

    Und schon wieder vermelde ich vorlaut: Das (von ras, nicht von dir), lieber Matthias, ist ELITAER. So elitär, dass es dorftrottel den Schnauf abstellt (und uns). Wir hatten auch immer schon die Idee: Cordjacke, Cheminée und Tabakpfeife… Ja, im Tessin ist es schön, wenn die Kastanien fallen. Ansonsten bin ich jetzt ruhig. Ein hervorragendes Entry (und sogar via)!

    Saturday, June 17, 2006 at 01:53 | Permalink
  3. feusl wrote:

    Hierarchisieren und Professionalisieren sind, sicher weiterhin Aufgaben der Medienhäuser. das machen Blogs nicht und das wollen Blogs nicht. Kein Grund sich aufzuregen. Und dass die bedeutung von Blogs dort steigt, wo Medien weniger frei sein, das scheint mir auch klar. Finde den Artikel i.O.

    Thursday, June 22, 2006 at 10:27 | Permalink
  4. Gris-Gris wrote:

    @feusl
    “Die Zeitung wurde zum ersten Mal am 12. Januar 1780 von Salomon Gessner herausgegeben…” (aus dem lesenswerten Wiki über die NZZ). Langsam wäre es also an der Zeit für erwähnte Professionalität.

    Im Ernst: Der alten Tante geht es sooo gut nicht, und mein Nostalgie-Tessinbild (in Anlehnung an Max Frisch) verwende ich als Metapher für die Abgehobenheit der an der Falkenstrasse herrschenden Medienphilosophie. Diese hat Auswirkungen auf die so genannte “strategische Ausrichtung” des Blattes, und Rainer Stadler will partout nicht realisieren, dass sich auf Rezepienten-Seite vieles verändert hat. Via Betriebswirtschaft zerstört diese Philosophie viele unstreitbar vorhandene NZZ-Qualitäten, z.B. (die Resourcen für) das ausgedehnte Auslandkorrespondenten-Netz, das klammheimlich vor sich hinschmilzt.

    Rainer Stadler, so mein Eindruck, hält sich für sophisticated. In Wahrheit biegt er sich die Welt zurecht. Er schimpft (indirekt) über das Publikum, über publizistische Initiativen anderer (= minderwertig, Hobby), während das eigene Schiff absäuft. Das ist weltfremd und elitär.

    Thursday, June 22, 2006 at 11:15 | Permalink

One Trackback/Pingback

  1. […] Und wieder einmal erklärt uns die NZZ, wie Blogs gefälligst zu funktionieren haben: Publizistisch ernst zu nehmen werden auf die Dauer nur solche Blogs sein, die sich nicht als Freistil-Antipoden des Journalismus verstehen, sondern selber Formen des professionellen journalistischen Handelns übernehmen. Nicht die weitere Deprofessionalisierung des Journalismus durch bloggende Amateure kann das Ziel sein, sondern die Ausbildung einer spezifischen Netz- Professionalität. […]